VON ANDREAS GLAS UND THOMAS HUMMEL
Daheim steht er selbst in der Kritik für seine Energiepolitik, im Bund spielt Markus Söder die Rolle, in der er sich am liebsten sieht: als Treiber in der Debatte um Gas, Kernkraft und das umstrittene Fracking. „Die Schockwirkungen von Putins Stop-and-Go-Spiel können im Winter schlimm werden“, warnt der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Deutschland müsse darüber nachdenken, eigene Gaskapazitäten zu nutzen. „Fracking von gestern will keiner. Aber es ist sinnvoll zu prüfen, ob es neue und umweltverträgliche Methoden gibt“, sagt Söder.
Bayern ist besonders betroffen durch die drohende Energiekrise, weil das Bundesland durch den österreichischen Gasspeicher in Haidach versorgt wird, der noch viel zu wenig gefüllt ist. Zwei Drittel des Speichers gehörten bis zuletzt einer Tochterfirma des russischen Konzerns Gazprom. Dass sich die bayerische Staatsregierung zudem lange gegen mehr Windräder und große Stromtrassen aus dem Norden gesperrt hat, wiegt nun doppelt schwer. Jetzt kündigt Söder für den Freistaat eine Energiesparkampagne an. In der kommenden Woche werde sein Kabinett dazu ein Konzept beschließen.
Dazu Fracking in Bayern? Eher nicht, wenn es nach Söder geht. „Vor allem in Niedersachsen“ sieht er „große Erdgasfelder“. Das könnte den Nord-Süd-Streit befeuern, den Söder selbst angezettelt hat. Erst kürzlich hatte sich Niedersachsens CDU-Landeschef Bernd Althusmann gegen Fracking in seinem Land ausgesprochen. Die Landes-SPD um Ministerpräsident Stephan Weil schließt solche Bohrungen kategorisch aus.
Fracking wird in Deutschland betrieben, aber nur in Sandsteinschichten. Das besonders umstrittene „unkonventionelle“ Fracking etwa in Schiefergestein ist seit 2017 verboten. Nur mit dieser Methode könnte die heimische Erdgas-Gewinnung erheblich erhöht werden. Nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) gibt es die größten Vorkommen von Schiefergas in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und auf Rügen. Doch wie viel Gas hier wirklich lagert, kann auch die BGR nur grob schätzen, in einer Studie aus dem Jahr 2016 geht sie von Vorkommen „zwischen 380 und 2340 Milliarden Kubikmetern“ aus, die technisch förderbar seien. Deutschland hat zuletzt etwa 90 Milliarden Kubikmeter im Jahr verbraucht.
Um das Schiefergas zu heben, reicht es allerdings nicht, ein Loch zu bohren und das Gas an die Oberfläche zu pumpen. Hier lagern viele kleine Gasblasen in dichtem Gestein. Ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien wird deshalb durch das Bohrloch gepresst, um durch diesen Druck in der Gesteinsschicht Risse zu erzeugen. Dadurch wird das Gas freigesetzt und kann zum Bohrloch strömen.
Die Kritik daran ist vielfältig. Das Grundwasser könnte verschmutzt werden, zudem löst die Fracking-Methode Erdbeben aus, weshalb etwa Großbritannien solche Bohrungen stoppte. Unklar ist, was mit der Fracking-Flüssigkeit im Untergrund passiert, welchen Schaden die Chemikalien dort anrichten. Auch die Entsorgung an der Oberfläche birgt Probleme. Die amerikanische Cornell-Universität im Bundesstaat New York hat 2019 festgestellt, dass die Förderung von Schiefergas durch Leckagen zu erheblichen Methanemissionen führt und so den Klimawandel beschleunigt. Methan ist als Treibhausgas 25 Mal so wirksam wie CO₂, bleibt aber durchschnittlich nur gut zwölf Jahre in der Atmosphäre. „In Deutschland ist Fracking aus gutem Grund verboten“, sagte Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Fracking ist teuer, riskant, birgt enorme Umweltrisiken und schädigt das Klima.“
Die Öl- und Gasbranche verweist indes auf Erfahrungen in den USA, wo die Auswirkungen auf die Umwelt reduziert worden seien. Ebenso der Flächenverbrauch, da inzwischen unterirdisch auch horizontal gebohrt werden könne. Das aktuell so begehrte Flüssiggas aus den USA wird oft durch Fracking gewonnen. Und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe glaubt, dass in Norddeutschland Gefahren für das Trinkwasser und durch Erdbeben beherrschbar seien.
So sieht das offenbar auch Markus Söder, der auf seinem Vorwurf beharrt, die Bundesregierung benachteilige den Süden in der Krise ganz gezielt. „,Zieht den Bayern die Lederhosen aus‘ wird woanders immer noch gerne gesungen. Aber das wird – wie beim Fußball – nicht gelingen“, sagt Söder, der auch mehr Tempo in der Debatte um den Weiterbetrieb der drei noch laufenden Kernkraftwerke verlangt. Es gehe nicht darum, den Betrieb „nur drei Monate zu strecken“, sondern bis Mitte 2024. Dann werde man sehen, ob weitere Kernkraftwerke nötig seien. Söder hält es für möglich, auch stillgelegte Meiler zu reaktivieren. Allerdings habe die Bundesregierung „mit ihrer zögerlichen Tiki-Taka-Politik“ Zeit verloren.
Vor allem die Grünen greift der CSU-Chef an – und bezichtigt sie der Lüge. In der Debatte um die Kernkraft sei „von grüner Seite mit Unwahrheiten gearbeitet worden“. Dass etwa der Meiler Isar 2 nicht sicher sei, dass Personal und Brennstoff für den Weiterbetrieb fehlten, all diese Einwände hätten sich als falsch erwiesen, sagt Söder – und verweist erneut auf ein TÜV-Gutachten, das vom bayerischen Umweltministerium in Auftrag gegeben worden war. Dass am Freitag ein weiteres Gutachten bekannt wurde, das dem TÜV Süd Befangenheit vorwirft, bewertet Söder so: „Ein von Greenpeace bezahlter Anwalt aus Hamburg will es besser wissen als der TÜV? Das muss man nicht weiter kommentieren.“
►München
Die Methode löst Erdbeben aus. Deswegen hat Großbritannien die Bohrungen gestoppt
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Bayerns Ministerpräsident sieht in Niedersachsen Chancen für die umstrittene Form der Erdgasgewinnung. Der Bundesregierung wirft er vor, sein Bundesland zu benachteiligen.